Neulich, beim Präsentationscoaching, saßen wir vor einer limbic® map, einem heutzutage beliebten Instrument des sogenannten Neuromarketing, das es Unternehmen ermöglichen soll, auf der Basis neuester Erkenntnisse der Hirnforschung emotionale Gestimmtheiten und Wertorientierungen ihrer Zielgruppen genau zu beschreiben und Produkte und Werbebotschaften entsprechend zu modellieren. Eine Orientierungskategorie auf dieser Karte heißt „Fantasie/Genuss.“ Die englische Version bietet dafür „Fantasy/Pleasure“ an. Genuss und pleasure sind im Zusammenhang von Konsumverhalten gewiss einigermaßen äquivalent – aber Fantasie und fantasy? Nun wird’s kompliziert:
Was ist Fantasie überhaupt? Als Vorstellungskraft oder Einbildungskraft (englisch vielleicht am besten imagination) ist sie eine der wichtigsten Fähigkeiten des menschlichen Geistes: ohne sie keine Begriffsbildung, kein Planen, keine Hypothesen – und folglich auch keine Einfühlung, keine Risikoeinschätzung, kein zielorientiertes Handeln. Sie alle verlangen die Fähigkeit, im Geiste, (in my mind’s eye sagt das Englische so schön visuell-genau) vor dem inneren Auge also, Bilder hervorzubringen und zu konturieren, die die Kraft verleihen, als gleichermaßen gedachte wie gefühlte Gegen-Bilder zu ihr die Wirklichkeit zum Wünschbaren zu verändern. Use your imagination – benutz doch einfach mal deine Fantasie! – rufen das Englische wie das Deutsche, und fordern zu geistiger Arbeit auf. Denn wer als fantasielos, als unimaginative gilt, dem wirft man entweder geistige Faulheit oder gleich einen spezifischen Mangel an Intelligenz vor. In diesem Sinne wird man Fantasie nicht ohne weiteres neben „Genuss“ stellen wollen.
Aber Fantasie (englisch nun fantasy), besonders wenn sie im Plural daherkommen kann, als Fantasien und fantasies, hat ja eine weitere Bedeutung: Sie bezeichnet das – im Gegensatz zum durch imagination zustande gekommene – völlig wirklichkeitsfremde „Hirngespinst“ (figment of the imagination, fantasy), das mit Realitätsverlust einhergeht. Wer ihm nachhängt, ist leicht als Fantast verschrien, als fantast, und wird gelegentlich wohl gar ein Fall für medizinische Hilfe. Neben Genuss/Pleasure gestellt, ergibt das ebenfalls keine griffige Kategorie, die Marketingleute weiterbringen könnte.
Das deutsche Wort Fantasie kennt aber sozusagen einen „Mittelweg“ und bezeichnet, eher negativ als „blühende Fantasie“, positiv als „künstlerische Fantasie“, die Fähigkeit der Vorstellungskraft, sich vielfältig und durch Vielfältiges anregen zu lassen, ein spielerisches Vorstellungsvermögen, das sich auf die bunten Möglichkeiten von Ich und Welt einlässt. Das passt zum „Genuss“, wird durch das englische Wort fantasy jedoch nicht gedeckt. Die letzte in Frage kommende Übersetzungsmöglichkeit für Fantasie, fancy, mag früher etwas davon gehabt haben. Heute wird es in diesem Sinne nicht mehr verwendet. Als Adjektiv bedeutet es aufwändig, verspielt, teuer, zuweilen, wie im fancy dress ball, dem Kostümball, einfach Fantasie-… Als Verb bezeichnet es ein Gefühl hoffnungsvollen Interesses: Do you fancy him/her? wäre umgangssprachlich vielleicht mit „stehst Du auf ihn/sie“ wiederzugeben.
Was lernen wir daraus? Bei den feineren Schattierungen unseres Innenlebens hat das Suchen nach lexikalischen Entsprechungen kaum Aussicht auf Erfolg. Wer hätte das gedacht! (Auf Englisch: Fancy that!) Was hätte man den Erfindern der limbic® map dann empfehlen sollen? Und was haben wir im Coaching dem Präsentator empfohlen? Ganz einfach: Use your imagination!