„Wählen“ auf Britisch, oder: Wortschatz und Geschichte.
In Großbritannien stehen Wahlen an, und wer da auf Englisch mitreden will, sollte ein paar Feinheiten des Vokabulars beachten. Was den Wortschatz betrifft, ist Wählen auf Deutsch nämlich eine langweilige Angelegenheit: Bei einer Bundestagswahl gehen Wähler und Wählerinnen in ihrem Wahlkreis ins Wahllokal, nehmen einen Wahlzettel, gehen in die Wahlkabine, geben durch Ankreuzen ihre Stimme ab und werfen den Wahlzettel in die Wahlurne.
In Großbritannien entspricht der Bundestagswahl die „General Election“; die Wähler und Wählerinnen sind „voters“. Der Wahlkreis nennt sich „constituency“. In jedem gibt es „polling stations“, mit „polling booths“, in denen die „voters“ mit Hilfe von „ballot paper“ (Wahlzettel) und „ballot box“ (Wahlurne) ihre Stimme abgeben: „They cast their votes“. Sind sie dann mit dem Ergebnis unzufrieden, bleibt nur der Stoßseufzer „die hab ich nicht gewählt:“ – „I didn´t vote for them“.
Wo also das Deutsche mit drei Wörtern eines Wortstammes auskommt (Wahl, Wähler, wählen), benötigt das Englische fünf Wörter aus fünf verschiedenen Stämmen: vote(r), election, constituency, polling, ballot.
Was lehrt uns das, außer dass wir fürs Englische (von wegen einfache Sprache!) manchmal ziemlich büffeln müssen? Vielleicht dies: Der Wortschatz jeder Sprache ist ein großer und detaillierter Speicher historisch- gesellschaftlicher Entwicklungen. Und so könnte das deutsche Wahlvokabular den Sachverhalt abbilden, dass seine Terminologie systematisch aus dem Begriff der freien Wahl entwickelt wurde, bevor wir kraft einer Verfassung auf einmal in den Genuss der Sache selbst kamen.
In Großbritannien hingegen, das gar keine geschriebene Verfassung besitzt, die die Dinge endgültig regelt, hat sich das Verfahren freier Wahlen – wie das gesamte politische System – über Jahrhunderte politisch-gesellschaftlicher Auseinandersetzungen samt Bürgerkrieg und dynastischer Verwerfungen aller Art langsam herausgebildet. Die Wörter kamen zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Quellen mit den Sachen selbst.
Deshalb macht die Terminologie heute diesen gleichsam provisorisch zusammengebastelten Eindruck. Ob das Vokabular einer Sprache und seine Geschichte nun Rückschlüsse auf die Mentalität der jeweiligen Sprecher erlaubt – der deutschen wie der englischen – das sei erst einmal dahingestellt. Wir werden weitere Beispiele sammeln.
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